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Interview

«Diese Tapetenwechsel tun uns gut»

In der Schweiz betreuen rund 600‘000 Personen ihre Angehörigen zuhause. Das SRK Kanton Bern vermittelt Freiwillige, die sie von dieser anspruchsvollen Aufgabe während ein paar Stunden ablösen.

Das Ehepaar Wittwer mit dem Freiwilligen Muammer Öner

Wie die 84-jährige Edith Wittwer von der Unterstützung profitiert und weshalb das Engagement auch für den Freiwilligen Muammer Öner eine grosse Chance ist, erzählen sie im Interview.

Frau Wittwer, Ihr Mann ist an Parkinson erkrankt: Wann haben Sie gemerkt, dass Sie Unterstützung brauchen?

Edith Wittwer: Meine Töchter meinten, es sei an der Zeit, dass ich Hilfe erhielte. Mein Mann bekam mit 55 Jahren die Diagnose Parkinson, heute ist er 82. Jetzt kommen immer dienstags Muammer oder Ursula zu uns. Sie geht meistens mit meinem Mann spazieren, und ich habe dann etwas Zeit für mich. Wenn Muammer kommt, unternehmen wir oft zu dritt etwas. Die beiden Freiwilligen vom Roten Kreuz waren für mich eine Art «Türöffner»: Es ist mir dann leichter gefallen, weitere Hilfe anzunehmen. Jetzt kommt auch noch die Spitex dreimal die Woche.

Hat es Sie denn Überwindung gekostet, fremde Leute ins Wohnzimmer zu lassen?

Edith Wittwer: Ja, mir fiel es am Anfang schwer, meinen Mann mit fremden Leuten allein zu lassen. Aber die Freiwilligen vom Roten Kreuz waren immer sehr nett, das hat es uns leicht gemacht. Und weil immer die gleichen Freiwilligen kommen, kann man auch schnell eine Beziehung und Vertrauen aufbauen. Es ist für mich eine grosse Entlastung. Zudem kommen mein Mann und ich nun auch wieder regelmässig raus aus der Wohnung und aus der Stadt: Diese Tapetenwechsel tun uns gut!

Muammer Öner

Alle Geflüchteten sollten sich freiwillig engagieren und eine solche Erfahrung machen.

Muammer Öner
Freiwilliger
Edith Wittwer

Weil immer die gleichen Freiwilligen kommen, kann man schnell eine Beziehung und Vertrauen aufbauen.

Edith Wittwer
Betreuende Angehörige

Muammer Öner, Sie haben in der Türkei als Anwalt gearbeitet. Vor zwei Jahren sind Sie in die Schweiz geflüchtet. Wie sind Sie darauf gekommen, sich beim Roten Kreuz freiwillig zu engagieren?

Muammer Öner: Ich habe irgendwo gelesen, dass sich viele Geflüchtete freiwillig engagieren und habe mich gefragt: Weshalb mache ich das eigentlich nicht? So habe ich mich beworben. Weil ich schon relativ gut Deutsch spreche, hat mich die Vermittlerin vom Roten Kreuz ermutigt, mich in der Betreuung zu engagieren und nicht im Fahrdienst.

Was bedeuten Ihnen die Besuche bei Familie Wittwer?

Muammer Öner: Ich lerne immer sehr viel! Ich verbessere mein Deutsch, lerne in den Gesprächen mit Frau Wittwer sogar Berndeutsch. Diese Treffen sind besser als jeder Deutschkurs! Berndeutsch ist für mich noch wichtiger als Hochdeutsch. Denn wenn ich eine Arbeit finden will, muss ich Berndeutsch sprechen. Zudem erfahre ich viel über das Alltagsleben und die Kultur der Schweiz. Ich denke, alle Geflüchteten sollten sich freiwillig engagieren und eine solche Erfahrung machen. Das ist für die Integration sehr wichtig!

Edith Wittwer: Dass Muammer die Umgebung noch nicht kennt und die Sprache noch besser lernen muss, hat es uns fast ein bisschen leichter gemacht Hilfe anzunehmen. So begegnen wir uns auf Augenhöhe und können ihm auch etwas bieten.

Wie werden Sie beide durch das Rote Kreuz begleitet?

Edith Widmer: Ich habe eigentlich nur mit den Freiwilligen Kontakt. Es gibt nichts zu reklamieren, wir hatten gar nie Probleme (lacht).

Muammer Öner: Ich werde vom Roten Kreuz gut begleitet. Am Anfang gab es einen Einführungskurs, damit ich wusste, worauf ich achten muss. Jetzt besuche ich jeden Monat eine Weiterbildung.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Edith Witter und Muammer Öner einstimmig: Einen Ausflug nach Thun! (beide lachen)
Edith Wittwer: Wir wünschen uns, dass Muammer noch lange zu uns kommt.
Muammer Öner: Ich möchte diese Treffen gerne fortführen und auch in Zukunft mit älteren Menschen arbeiten.

Verschnaufpausen für Angehörige

Die meisten betreuenden Angehörigen sind zwischen 46 und 65 Jahre alt und kümmern sich um ihre Eltern oder Schwiegereltern. Sie sind eine wichtige Stütze des Gesundheitssystems und ihr Einsatz ist besonders in Zeiten des Fachkräftemangels unerlässlich. Die Betreuungsarbeit ist anstrengend: Sie kann die Angehörigen erschöpfen oder sozial isolieren. Deshalb stehen wir Ihnen zur Seite: Wir vermitteln Freiwillige, die bei der Betreuung unterstützen. Darüber hinaus bieten wir professionelle Beratung und weitere Entlastungsangebote.